Spaziergang durch das jüdische Eberswalde: Interkulturelle Initiative von Palanca e.V. & Europäischer Tag der jüdischen Kultur, 4. September 2022

Walk through the Jewish Eberswalde: Intercultural initiative by Palanca e.V. & European Day of Jewish Culture, September 4th, 2022

Von / by Mirjam Silber, September 2022

Anlässlich des Europäischen Tages der jüdischen Kultur organisierte Mirjam Silber im Rahmen der neuen interkulturellen Palanca-Initiative Plurilog der Kulturen und Religionen einen Stadtspaziergang durch das jüdische Eberswalde. Unter der kundigen Führung von Ellen Grünwald, die seit vielen Jahren zur Eberwalder jüdischen Geschichte forscht, Aufklärungsarbeit betreibt und die Initiative „Spuren jüdischen Lebens in Eberswalde“ gegründet hat, begab sich am 4. September eine Gruppe Interessierter auf Spurensuche. Treffpunkt war das Synagogen-Denkmal in der Goethestraße – eine Gedenktafel weist auf die ehemalige Synagoge hin.

On the occasion of the European Day of Jewish Culture, Mirjam Silber organized a city walk through the jewish Eberswalde as part of the new intercultural Palanca initiative Plurilog der Kulturen und Religionen („Plurilog of cultures and religions“). Under the expert guidance of Ellen Grünwald, who has been researching Eberwalde’s jewish history for many years, does educational work and founded the initiative „Spuren jüdischen Lebens in Eberswalde“ („Traces of jewish Life in Eberswalde“), a group of interested people went on September 4th in search of traces. The meeting point was the synagogue monument in Goethestrasse – a commemorative plaque points to the former synagogue.

Gedenktafel der einstigen Eberswalder Synagoge in der Goethestraße
Commemorative plaque of the former synagogue in Eberswalde on Goethestrasse

Ursprünglich befand sich die Eberswalder Synagoge dort, wo heute das Rathaus steht, doch mit dem Anwachsen der jüdischen Gemeinde auf über 200 Mitglieder wurde der Bau einer größeren Synagoge nötig, welche im Jahre 1891 eingeweiht wurde.

The Eberswalde synagogue was originally located where the town hall now stands, but as the Jewish community grew to over 200 members, it became necessary to build a larger synagogue, which was inaugurated in 1891.

Als im Jahre 1931 ein Blitzschlag die Synagoge in Brand setzte, halfen die Eberswalder Bürger*innen beim Löschen. Jedoch nur wenige Jahre später, am 9.11.1938, zerstörten sie die Synagoge im Wahn des November-Pogroms.
Wie damals bei von Nazis zerstörten jüdischen Einrichtungen üblich, wurde die jüdische Gemeinde ebenso von der Eberswalder Stadtverwaltung verpflichtet, den Abriss der Brandruine nicht nur zu veranlassen, sondern auch selbst zu bezahlen.

When a lightning strike set the synagogue on fire in 1931, the citizens of Eberswalde helped put it out. However, only a few years later, on November 9th, 1938, they destroyed the synagogue in the madness of the November pogrom.
As it was usual at the time with jewish institutions destroyed by the Nazis, the jewish community was also obliged by the Eberswalde city administration not only to arrange for the demolition of the burnt ruins, but also to pay for it themselve.

Brennende Synagoge 1931 [www.knitz.net]
Burning synagogue 1931 [www.knitz.net]

2010 beauftragte die Stadt Eberswalde verschiedene Künstlerteams, ein neues Denkmal oder einen Erinnerungsort für die ehemalige Synagoge zu entwickeln. Ab dem Jahr 2011 wurde ein Denkmal-Entwurf von Hoheisel & Knitz realisiert. Ein wachsendes Denkmal, das sich ständig verändert, das nie fertig sein wird.
Die wiedergefundenen Fundamente der zerstörten ehemaligen Synagoge tragen das in sich geschlossene Denkmal – der Innenraum bleibt nämlich unbetretbar. Vor dem Einsetzen des letzten Wandsegments wurden im Inneren noch unter großer Bürger*innenbeteiligung Bäumchen gepflanzt – es wächst was wachsen mag. Forstwissenschaftlich formuliert handelt es sich um eine Naturwaldparzelle – mitten in der Stadt Eberswalde. Mit zunehmendem Wachstum zeichnen die Bäume über die Jahre langsam den Baukörper, das Volumen der ehemaligen Synagoge nach. Wie die Bäume wachsen, so wächst und verändert sich auch die Erinnerung.

In 2010, the city of Eberswalde commissioned various teams of artists to develop a new memorial or place of remembrance for the former synagogue. From 2011, a memorial design by Hoheisel & Knitz was realized. A growing monument that is constantly changing, that will never be finished.
The excavated foundations of the destroyed former synagogue support the closed, self-contained monument – the interior remains inaccessible. Before the last wall segment was put in place, small trees were planted inside with a large number of citizens participating – whatever grows grows. In terms of forest science, it is a natural forest plot – in the middle of the city of Eberswalde. As the trees grow over the years, they slowly trace the structure, the volume of the former synagogue. As the trees grow, so does memory grow and change.

Synagogen-Denkmal Eberswalde
Synagogue monument Eberswalde

Das Textband rund um das Synagogen-Denkmal erzählt kurzgefasst die tragische Geschichte der Eberswalder jüdischen Bevölkerung:
Über 700 Jahre hinweg lebten Juden in unserer Stadt und Region und feierten ihre Gottesdienste an unterschiedlichen Orten. An dieser Stelle weihte die jüdische Gemeinde, die auf 200 Mitglieder angewachsen war, im Jahre 1891 ihre Synagoge ein. 1931 setzte ein Blitzschlag die Synagoge in Brand. Herbeieilende Nachbarn halfen beim Löschen. Am 9. November 1938 zerstörten Eberswalder Bürger die Synagoge. Schon am Tag darauf verpflichtete die Stadtverwaltung die jüdische Gemeinde dazu, den sofortigen Abriss der Ruine zu veranlassen und zu bezahlen. Eberswalder Polizisten deportierten in den Kriegsjahren die letzten Juden der Stadt. Viele Eberswalder Juden starben in Konzentrationslagern und auf Todesmärschen, einige auch durch Suizid. Manche konnten noch aus ihrer Heimat fliehen. Seit dieser Zeit fehlen Eberswalde diese Menschen, Freunde, Mitschüler, Nachbarn, Kollegen. Dieses Denkmal verdeutlicht mit seiner Geschlossenheit: „Auf dass erkenne das künftige Geschlecht, die Kinder, die geboren werden, dass sie aufstehen und erzählen ihren Kindern.“ (Psalm 37)

The text around the synagogue monument briefly tells the tragic story of the Eberswalde jewish population:
For more than 700 years, Jews lived in our city and region and celebrated their services in different places. It was here that the jewish community, which had grown to 200 members, dedicated their synagogue in 1891. In 1931 a lightning strike set the synagogue on fire. Neighbors rushing to help extinguish the fire. On November 9th, 1938, citizens of Eberswalde destroyed the synagogue. The very next day, the city administration obliged the Jewish community to arrange for the immediate demolition of the ruins and to pay for it. Eberswalde police officers deported the last Jews in the city during the war years. Many Eberswalde Jews died in concentration camps and on death marches, some by suicide. Some were able to flee their homes. Since that time, Eberswalde has been missing these people, friends, classmates, neighbours, colleagues. This monument makes it clear with its unity: „So know the future generation, the children who are born, that they arise and tell their children.“ (Psalm 37)

Am Markt, dort wo heute das Café Gustav ist, wurde uns von Ellen Grünwald über die Familie Liepmann erzählt, die hier eine Schneiderei und – wie meist in damaligen Bürgerhäusern – im Stockwerk darüber ihre Wohnung hatte. Stolpersteine erinnern an die Familie und Frau Grünwald konnte in einem Archiv sogar ein „Werbeplakat“ entdecken, außerdem erstellte sie eine Genealogie der Familie Liepmann.

On the market square, where Café Gustav is today, Ellen Grünwald told us about the Liepmann family, who had a tailor’s shop here and – as was usually the case in town houses of the time – their apartment on the floor above. „Stolpersteine“ (stumbling blocks) are reminiscent of the family and Ms. Grünwald was even able to discover an „advertising poster“ in an archive, and she also compiled a genealogy of the Liepmann family.

Auch die Familie Friedländer hatte in einem Haus Am Markt ihr Geschäft und ihre Wohnung. Deren Tochter, Lisbeth Pfingst, geb. Friedländer, wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und 1943 ermordet – ein Stolperstein erinnert an sie. So denkwürdig auch der Stolperstein ist, umso weniger würdevoll ist hingegen der Hauseingang: abgesehen vom in die Jahre gekommenen Verputz der Fassade ist noch dazu die Wand beschmiert – wie schändlich!

The Friedländer family also had their shop and apartment in a house on the market. Their daughter, Lisbeth Pfingst, born Friedländer, was deported to Theresienstadt in 1942 and murdered in 1943 – a „Stolperstein“ (stumbling block) commemorates her. As memorable as the „Stolperstein“ (stumbling block) is, the less dignified is the entrance: apart from the aging plaster on the facade, the wall is also smeared – how disgraceful!

Die Rabbinerfamilie Wolff, welche seinerzeit gegenüber des heutigen Paul-Wunderlich-Hauses lebte, konnte – bis auf deren jüngsten Sohn Erich, der 1941 im Alter von 21 Jahren ermordet wurde – in die USA fliehen.

The Wolff family of rabbis, who lived opposite today’s Paul-Wunderlich-Haus, were able to flee to the USA, except for their youngest son Erich, who was murdered in 1941 at the age of 21.

Salomon und Emma Goldschmidt führten in Eberswalde ein Kaufhaus und wohnten auch in der Jüdenstraße – eine schlichte Gedenktafel erinnert an deren Schicksal. Beide wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert – nur Solomon Goldschmidt überlebte die Nazi-Gräuel. Völlig pietätlos steht neben der Gedenktafel ein Müllcontainer – solcherart „Gedankenlosigkeiten“ begegnen uns leider immer wieder in der Erinnerungsarbeit!

Salomon and Emma Goldschmidt ran a department store in Eberswalde and also lived in Jüdenstrasse – a simple plaque commemorates their fate. Both were deported to Theresienstadt in 1942 – only Solomon Goldschmidt survived the Nazi atrocities. Completely irreverent is a rubbish container next to the commemorative plaque – unfortunately we encounter such „thoughtlessness“ again and again in the work of remembrance!

Gedenktafel Salomon und Emma Goldschmidt
Commemorative plaque for Salomon and Emma Goldschmidt
Stolpersteine für Salomon und Emma Goldschmidt
„Stolpersteine“ (stumbling blocks) for Salomon and Emma Goldschmidt

In ehrenvollem Andenken wurde in Eberswalde eine Straße nach Salomon Goldschmidt benannt.

A street in Eberswalde was named after Salomon Goldschmidt in honor of his memory.

Salomon-Goldschmidt-Straße in Eberswalde
Salomon Goldschmidt street in Eberswalde

In der Friedrich-Ebert-Straße, wo es dazumals viele jüdische Geschäfte gab, endete die hochinteressante Führung, welche von Ellen Grünwald sehr anschaulich und berührend mit Geschichte(n) und Fotos illustriert wurde. Ihr in jahrzehntelanger ehrenamtlicher (!) Recherchearbeit zusammengetragenes großes Wissen über die jüdische Stadtgeschichte und ihre faktenbasierte, aber einfühlsame Vermittlung der jüdischen Schicksale von Eberswalde wurden mit viel Applaus und großzügigen Spenden honoriert. Sehr nachdenklich, erschüttert und mit Trauer im Herzen begaben sich die Teilnehmenden wieder in ihr eigenes Alltagsleben – viele Fragen bleiben offen, denn das wahre Ausmaß der entsetzlichen Verbrechen des nationalsozialistischen Terror-Regimes ist unbeschreiblich und unfassbar.

The highly interesting tour ended in Friedrich-Ebert-Strasse, where there were many jewish shops at the time. Ellen Grünwald illustrated it very clearly and movingly with stories and photos. Her extensive knowledge of the jewish history of the city, gathered over decades of voluntary (!) research work, and her fact-based but sensitive communication of the jewish destinies of Eberswalde were honored with much applause and generous donations. Very thoughtful, shaken and with sadness in their hearts, the participants went back to their own everyday lives – many questions remain unanswered, because the true extent of the horrific crimes of the Nazi terror regime is indescribable and incomprehensible.

Kommentar verfassen

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Nach oben scrollen
Scroll to Top